Daniela Seel im Gespräch mit Kinga Tóth und Doro Billard

7 Tage, 2 Künstler*innen, 1 Ort: Im Rahmen des Projekts CON_TEXT erarbeiten jeweils zwei Künstler*innen innerhalb einer Woche in der Lettrétage gemeinsam eine Veranstaltung

Die Lyrikerin und Verlegerin Daniela Seel besuchte die CON_TEXT-Künstlerinnen Kinga Toth und Doro Billard in der Lettrétage.

 

© Daniela Seel

Daniela Seel: Die Raumsituation ist schon so unmittelbar anders, wenn man hereinkommt, wir könnten gleich daran anknüpfen. Man sieht hier diverse Arbeitsschritte und Utensilien ‒ erzählt doch vielleicht einfach etwas dazu, was hier so vor sich geht und noch vor sich gehen soll.

Kinga Tóth: Okay.  Ich kann vielleicht mit den Texten anfangen. Was man hier jetzt auf dem Boden sieht, sind Texte, die viel mit Wasser zu tun haben. Deswegen haben wir einander auch ausgewählt. Es gab diese CON_TEXT-Gesprächsrunde, nicht Blind Dates, eher Zwei-Minuten-Dates ‒ und bei uns war das wirklich direkt so ein Match.

Doro Billard: Ein Thema, wo wir beide gemerkt haben: Genau daran bin ich gerade. Und deswegen sofort die klare Vorstellung, dass wir da zusammenarbeiten. Diese Texte von Kinga, wo es sehr stark um Wasser geht, um Mädchen im Wasser, im Becken, um eine Frau, die in einen Tank springt, die ganze Thematik von Mädchenkörper, Frauenkörper und Wasser hat mich total angesprochen.

KT: Naja, alle Schriftsteller schreiben über Wasser, alle Grafikerinnen oder bildenden Künstlerinnen machen etwas mit Wasser, Wasser ist ein topic wie, ich weiß nicht, Stein. Aber wie wir mit dem Wasser arbeiten, wie unsere Gedanken damit umgehen, wie wir zum Wasser gehören, was mit Atem zu tun hat, was Wasser eigentlich ist, drinnen und draußen, wo die Grenzen sind. Dazu Dinge wie Tradition oder Gürtellinie, es springt sofort viel an.

DB: Wasseroberflächen, so eingelegte Formen, was ist eine Spiegelung im Wasser, was ist es, aufs Wasser zu starren …

© Evgeny Revvo

DB: Parallel dazu gab es für mich das Thema Mädchen und Tochter und was sind die Erinnerungen an den Körper, an den Körper des Mädchens, was sind Körpererinnerungen. Die Zeichnungen sind auch aus einem Gefühl gekommen von Nicht-loslassen-Können. Wasseroberflächen zu zeichnen, hat für mich mit einer Unruhe zu tun und mit, ja ‒ was ich nicht so gut in Worte fassen kann. Und deswegen hat es mich sehr interessiert, die Texte von Kinga darüber zu lesen und zu bekommen. Was ist dieser Zustand der Flut zum Beispiel … Ich hatte so eine Szene gesehen von zwei kleinen Mädchen, die sich ankucken, an der Elbe, wie ihr Spielplatz unter Wasser ist, wo eine Rutsche nur rausragt, eine Schaukel drüberschwebt ‒ und da sind wir auf den Gedanken gekommen einer Wäschesituation, von Kleidern, die gewaschen werden oder gefärbt werden, diese Farbe, die von unten kommt und in die Stoffe, ins Papier einwandert, hochwandert. Und das ist unser Prototyp.

© Daniela Seel
© Daniela Seel

KT: Sie badet seit gestern und sie wird bis Dienstag baden, und dann merken wir, was mit ihr passiert.

DB: Wir werden heute Nachmittag noch andere Kleider bauen und sie in verschiedene Farbgefäße einsetzen. Und die Texte, die da liegen, werden an die Wand kommen, und auch Zeichnungen, und wir werden auch eine kleine Performance machen ‒ mit einer Badewanne. (Lachen.)

KT: Die am Montag kommt. Also die Frage: Was macht ein Mädchen mit Wasser? Von draußen und von drinnen. Und wir wollten beobachten ‒ wenn man das kann ‒, wie man von innen und außen Wasser und Feuchtigkeit wahrnehmen kann, mit welchen Sinnesorganen. Also haben wir Bewegungen ausgewählt, wie zum Beispiel waschen, anders atmen, natürlich ertrinken, tauchen, schwimmen ‒ womit wir beide Probleme haben … Sehr wichtig war, dass es ein Element unseres Körpers ist, dass der menschliche Körper so sehr aus Wasser besteht und was für eine Sehnsucht wir haben: Warum wollen wir zum Wasser? Es ist eine persönliche Geschichte, aber auch eine kollektive Geschichte. Dass man irgendwie zurückgehen muss. Aber um zurückgehen zu können, muss man anders atmen, unsere Körperteile komplett umfunktionieren, aber das bedeutet dann ertrinken. Auf solchen Gedankengängen sind wir spaziert, und deswegen kommt die Wanne. Deswegen kommt Waschen, weil die Bewegung hilft, weil es etwas Motorisches ist. Und das ist auch gut fürs Storytelling, also diese monotonen und wiederkehrenden Elemente und Kreisläufe. Naja, und es hat auch sehr viel mit Weiblichkeit zu tun. Es gibt diese Wasserlinien ‒ wann ist Wasser gut, wann ist Wasser gefährlich? Und so landeten wir beide bei der Gürtellinie, die sehr wichtig ist, auch im Schwimmbecken, wo immer es ein Warnsignal gibt: Bis hierhin ist es okay, dann kommt das Geheimnis, oder das Unheimliche, und das Gefährliche, was darunter ist ‒ davon wissen wir nicht. Und so sind unsere Frauenkörper aufgebaut, wir haben diese Gürtellinie und ‒ Doro, können wir das erzählen? Dass du Kinder hast …

DB: Ja, das Wort kam, weil ich von der Geburtssituation erzählt habe. Geburt ist, ein Kind aus dem Wasser herausholen, und aus diesem Wasserwesen ein atmendes Wesen zu machen. Und da sind komische ‒ also ich fand die Schwangerschaft überhaupt einen komischen Zustand, aber was auch die Gesellschaft mit einem macht und diese ganzen Krankenhäuser … Ich fand total absurd, dass einem nach der Entbindung gesagt wird, man soll nicht mehr baden. Das heißt, das Dreckige darf nicht mit der heiligen Brust, mit Milch in Berührung kommen, weil das alles ganz schlimm ist. Diese Vorstellung, dass es das Gute und das Böse gibt, das ganz stark voneinander getrennt sein soll, dass es wirklich diese Gürtellinie gibt, und man soll nicht baden, denn man ist eigentlich unten schmutzig und oben soll man dem Kind doch bitteschön Milch geben, und ich dachte: Aus welchem Jahrtausend kommt bitte diese Vorstellung?

DS: Ich hätte gedacht, dass es anders herum ist, man soll nicht baden, weil das Wasser dreckig ist, damit man sich nicht entzündet.

DB: Genau. Aber schon diese Vorstellung, dass ein Teil des Körpers dreckig ist, also nicht das Wasser ist dreckig, sondern man macht selbst das Wasser dreckig, mit dem Wochenfluss.

DS: Ach so, du meinst im Schwimmbad.

DB: Ne, in der Badewanne. Man soll nur duschen.

DS: Ich hatte gedacht, man soll nicht in die Badewanne, weil dadurch die Selbstreinigungskräfte beeinträchtigt werden, durch das Wasser und das, was hinzukommt zu dem, was der Körper selber an Reinigung vornimmt, und dadurch eine Entzündung und Lebensgefahr entstehen kann.

KT: Das wäre, was Sinn macht. Aber die Tradition, die Oralgeschichte, was Frauen einander erzählen, in Ungarn auch, sagt etwas anderes.

DB: Auch was Hebammen erzählen. Ich war total verstört von dieser Vorstellung, ich habe es nicht verstanden, habe nachgefragt, was ist eigentlich damit gemeint? Und damit gemeint ist: Das Blut darf nicht mit der Milch in Berührung kommen. Es sind ganz moralische, eigentlich religiöse Vorstellungen, ganz verrückte Vorstellungen, es hat eigentlich nichts Rationales. Und darüber sind wir auf das Wort Gürtellinie gekommen, auf die Vorstellung, dass es eine Grenze im Körper gibt, auch einen starken Zwang, was Muttersein sein soll, die Beziehung von Mutter und Kind.

KT: Dieses Santa-Maria-Sein oben, weil es um Füttern geht, aber diese unheimliche ‒ Nassigkeit, wie sagt man das? Unheimliche Flüssigkeiten, die unter dieser Wasserlinie oder Gürtellinie sind, darüber können wir nicht reden, das ist intacto, das ist etwas, das wir verdecken müssen. Obwohl es nicht gesund ist, nicht logisch ist, teilen Mütter den Mädchen das weiter. Und für mich war diese Schwangerschaftssache auch sehr interessant, weil ich zwar keine Kinder habe, aber meine Mutter Biologielehrerin ist, und wir führen seit meiner Kindheit „kranke“ Gespräche darüber, was ein Fremdkörper ist, was ein Parasit ist, ob ein Kind ein Parasit ist, ob ein Kind ein Fisch ist mit anderem Atemsystem, was in der Gebärmutter, in diesem Wasserbecken, passiert, und dann diese Sehnsucht des Kindes … Obwohl wir ganz andere Erfahrungen haben, ist unsere Denkweise ähnlich. Und diese Reinheit ‒ vielleicht bin ich zu sehr mit Ungarn beschäftigt, aber es macht mich manchmal wirklich krank, diese Frauenrepräsentationen, diese Rückkehr zur Reinheit. Wie furchtbar es zum Beispiel ist, wenn du deine Reinheit verlierst als Mädchen, und wie du sie zurückgreifen kannst als eine heilige Mutter. Und das alles, alles geht zum Wasser zurück. Genau das wollten wir aber nicht, die Esoterik, die in solchen Frauenrepräsentationen steckt, in diesen Denkmustern. Darum war uns auch wichtig, über unsere Ängste zu sprechen.

DB: Es gibt in diesem Zusammenhang noch ein anderes Thema von Kinga, nämlich Maschinen als eine Erweiterung des Körpers, was auch viel mit Kingas Geschichte zu tun hat und mit Medizin, im weitesten Sinn. Diese Vorstellungen von Flüssigkeiten, die den Körper verlassen, davon, wie Körper an Maschinen angeschlossen werden, an Kreisläufe, sind sehr präsent in deinen Texten, und die haben mich auch sehr angesprochen.

KT: Ja, eine Maschine ist auch wie ein Fremdkörper, der nicht ein Kind ist, ein anderer Fremdkörper, eine andere Tube, die Flüssigkeitskreisläufe produzieren kann oder leiten kann. Dann kommen die Materialien hinzu. Doro ist oft mit verschiedenen Stoffen beschäftigt, ich schreibe auch über Stoffe, kreiere Sounds mit Stoffen, aber ich berühre sie nicht in dem Sinn, ich habe sogar etwas Angst davor, vor Papier, vor Wasser, vor Schneiden und sowas. Das ist auch ein Lernprozess jetzt, dass wir verschiedene Stoffe, Grundstoffe, und die Begegnung von Wasser mit diesen verschiedenen Grundstoffen ausprobieren.

DS: Vielleicht könnt ihr darüber noch mehr erzählen: Wie kommt ihr vom Inhalt zur Form? Ihr habt jetzt viel über das Thema gesprochen, aber der Rahmen des Projektes ist ja eine Performance. Wie läuft der Prozess, das aufzubauen und auch mit den anderen, die dann kommen, als Publikum, in Beziehung zu setzen, das zu entwickeln?

DB: Also zunächst gab es den Aspekt, dass Texte von Kinga, die schon da sind, und Zeichnungen von mir, die schon da sind, für uns so klar zusammenkommen, dass wir sie auch zusammen zeigen wollen, zeigen, was da ist. Dafür wollen wir gute Typografie an der Wand, von den Texten manchmal nur kurze Ausschnitte, aber dass man sie gut lesen kann und die Bilder dazu hat. Und dann war es ein Dialog. Kinga wollte gerne Geräusche und Wasser und etwas Performatives, diese Badewanne und dass man damit spielt. Mir ist das etwas fremd, Performance, mit Sound arbeiten, das ist überhaupt nicht mein Medium. Aber während wir darüber gesprochen haben, dass da Kleider hängen könnten, dachte ich auf einmal an Papier in Farbe, und dann war es für mich dieses Plastische, das in meinem Kopf auf einmal ganz klar war. Und Kinga hatte gleich eine Vorstellung davon, was man mit diesen Objekten im Raum machen könnte und wie man Leute einbeziehen könnte. Gestern beim „Basteln“ entstand die Idee, dass die Leute, die heute zur Werkstatt kommen, sich auch Kleider machen können. Das ist auch etwas Faszinierendes: Dass man das Volumen des eigenen Körpers erfährt, indem man aus einer flachen, zweidimensionalen Sache durch Falten und Kleben tatsächlich auf einmal ein Körpervolumen erhält. Was auch sehr lustig ist. Und es berührt einen, es passiert etwas ganz Unheimliches, wenn aus einem liegenden Papier auf einmal ein Bauch und ein Rücken wachsen.

DS: Und diese Kleider sollen alle aus Papier sein?

KT: Ja, auch wegen dem Wasser. Wir wollen sichtbarer machen, was Wasser mit verschiedenen Stoffen machen kann, mit der Haut. Und Papier war vielleicht das einfachste Beispiel.

DB: Wir dachten zuerst, auf diese Kleidung vielleicht auch zu schreiben, sie zu bemalen, zu zeichnen, inzwischen haben wir uns davon aber wieder verabschiedet, weil es schon genug Elemente gibt, es muss nicht alles einfließen.

KT: Das wollte ich dir noch zeigen.

© Daniela Seel

KT: Bei mir war das wirklich eine starke Vision: Ich sah uns beide beim Storytelling an der Wanne, weißt du, wie diese alten Damen. Ich dachte, wir sind jetzt diese alten Damen, die das ganze Leben, die Gesellschaft ‒ und alles beim Wasser, am Ufer, bei diesen motorischen Bewegungen, beim Waschen ‒ einfach erzählen, so geben wir alles weiter. Dass wir zeigen müssen, wie wir kommunizieren, was ein Kommunikationsmittel oder ein -kanal ist. Und dann wollte ich der Doro auch auf jeden Fall zeigen, wie Wasser sounds. Und diese Gürtellinie ‒ also unser Ziel ist jetzt, dass alle, die am Dienstag eintreten, ins Wasser eintreten werden, oder?

DB: Ja. Wir hatten die Idee, den Raum zu markieren mit Klebeband, durchgehend, alle Wände, alle Pfeiler, wie beim Hochwasser, solche Strichmarkierungen. Das ist immer sehr beeindruckend, wenn man in einer Stadt steht, und dann: 1910, bis hier … Es gibt etwas Ungemütliches darin, aber auch Beeindruckendes. Und damit das Zimmer gedanklich unter Wasser setzen.

KT: Und diesen Untergang. Wie kann man mit einem statischen Raum eine Bewegung nach unten präsentieren? Und das versuchen wir mit dem Klebeband, so dass deutlich wird, dass wir jetzt untergehen. Mich interessiert sehr, wie diese Kommunikation, ob diese Kommunikation eigentlich passieren wird.

DS: Das ist ja sowieso etwas grundsätzlich Interessantes an der künstlerischen Arbeit: Es ist eine Form von Kommunikation, die üblicherweise indirekt ist. Es gibt zwar ein Publikum, aber mit dem hat man in der Regel keinen direkten Kontakt, außer eben in so einer Performancesituation oder für dich, Doro, vielleicht in einer Ausstellungssituation, wenn du auf Besucherinnen und Besucher triffst. Wie verhält es sich für euch mit dieser Form von Kommunikation, von Beziehungsarbeit auch, zunächst im künstlerischen Prozess und dann, wenn es das konkrete Feedback gibt? Gerade wenn ihr von einer so explizit weiblichen Position herkommt, wo emotionale Arbeit, Beziehungsarbeit noch mal ein anderes Gewicht hat.

KT: Das ist eine sehr gute Frage. Ich habe es so wahrgenommen, dass das, was wir mit diesen künstlerischen Tools zeigen möchten, etwas sehr Natürliches ist. Wie kann man etwas Natürliches als Wasserwesen ‒ Zurückkehren, Kreisläufe ‒ mit diesem Künstlichen ‒ Tapes, Schellack, Tinte ‒ deutlich machen? Ob die Leute das verstehen werden, dass es etwas sehr Natürliches, nur unter einer Lupe, ist? Oder werden sie das Ganze nicht verstehen? Oder wird es sie berühren? Denn uns berührt das Ganze.

DB: Ich habe noch nie so etwas Performatives gemacht, und das hat mich auch interessiert an diesem CON_TEXT-Projekt. Also dass man auf ein Publikum trifft, wo man nicht nur sagt: Das habe ich gemacht, ich kann gern darüber sprechen, aber muss nicht, sondern dass man sich in den Raum stellt und sagt: Okay, es gibt einen Dialog zwischen uns, wir wollen andere Leute daran teilhaben lassen. Für mich machen die Dinge Sinn, aber sie sind eher intuitiv, die Formen, die Aspekte ergänzen sich. Wahrscheinlich erhoffe ich mir, dass dadurch, dass deine Medien, Kinga, dazukommen, ein größeres Verständnis oder ein anderes Begreifen entsteht, dass Leute von verschiedenen Seiten Zugang zum Thema finden. Für mich hat es so funktioniert. Zum Beispiel ein Satz wie: Nicht jeder wird in den Körper wieder hineingelangen. Das ist für mich ein ganz starker Satz, der viel mit dem, was ich in meinen Zeichnungen gemacht habe, zu tun hat. Für mich war das ein Plus zu dieser Bildebene. Ich weiß natürlich nicht, wie die Leute darauf reagieren werden, und ich weiß auch nicht, wie die Leute, die sonst meine Arbeit kennen von Ausstellungen, in so einem Kontext reagieren. Ich bin sehr gespannt.

KT: Ich auch. Wir wollen keinen großen Zirkus machen. Sondern das Wasser zeigen und unsere Begegnung mit Wasser. Etwas Lebendiges und eine Beobachtung charakteristischer Merkmale des Themas.

DB: Wobei es für mich auch Überraschungen gibt. Zum Beispiel seitdem dieses Wesen hier im Raum steht, diese Papierfrau, bin ich selbst ein bisschen überrascht. Es gibt einen Witz darin, etwas Komisches, vielleicht auch andere Aspekte, ästhetische, assoziative, die dazukommen, die ich nicht eingeplant hatte. Gerade diese ganze Handwerksarbeit und was es bedeutet, ein weißes Kleid zu machen, das ist nichts, was ich symbolisch drinhaben wollte, aber jetzt steht es mit im Raum.

DS: Das ist natürlich auch toll, die überraschenden Momente, die aus der Dynamik der Zusammenarbeit entstehen. Wie war das im Vergleich zu sonst, wie hat sich euer eigenes Denken oder euer eigenes Herangehen dadurch verändert, was nehmt ihr davon mit?

KT: Huh. Bei mir gibt es auf jeden Fall ein Selbstbewusstsein. Also ich habe meine Ängste los- oder ‒ sagt man das so? ‒ abgesagt, mit Stoffen. Meine Angst, dass ich etwas kaputt mache. Dass ich etwas nicht perfekt machen kann, schneiden oder so. Wie man Stoffen begegnet, welche Wirkung der Mensch auf Stoffe ausübt. Kaputt machen oder wie kann ich sie überhaupt wahrnehmen, fühle ich sie gut, wie reagieren sie, wenn ich sie ertaste oder wenn ich etwas mit diesen Stoffen mache … Ich habe immer eher zweidimensionale Sachen gemacht. Ich zeichne auch selbst, aber nur so, 3D sehe ich leider gar nicht. Und jetzt lerne ich die Stoffe, die Materialien durch Doro oder mit Doro kennen. Also bei mir sind die Rezeptoren jetzt komplett high, ich habe eine komplett andere Wahrnehmung. Es ist, glaube ich, auch etwas Psychisches und, naja, diese unendlichen Gespräche, die wir führen. Auch über wissenschaftliche Sachen, über die Gesellschaft, die Reaktion der Gesellschaft, über Körperwahrnehmungen, innen und außen ‒ das ist echt brutal. Ich bin immer sehr müde am Abend, weil mein Kopf schwimmt. Und wir werden das fortsetzen. Also wir haben schon Pläne, dieses Experiment fortzuführen.

DB: Am Anfang dachte ich von diesem Format, okay, ich treffe zehn verschiedene Leute, man wird schon was zusammen machen. Aber ich war sehr überrascht, dass wir innerhalb von fünf Minuten ganz viele Punkte gefunden haben, wo wir wussten: Oh, darüber gibt’s ganz viel zu sagen, wir müssen darüber, darüber, darüber weitersprechen. Und das hat sich jetzt bestätigt. Ich fand das schön, wo du gesagt hast, du hattest Angst am Anfang ‒ und das habe ich auch gemerkt ‒, falsch zu schneiden, kaputt zu machen. Die habe ich nicht, aber ich kann sie verstehen. Und ich finde es spannend, denn ich habe diese Hemmung mit der Sprache, und erst recht mit der deutschen Sprache. Ich bin auch keine gebürtige Deutsche, es ist auch nur so eine angelernte Sprache, und ich versuche immer schwitzend die Fälle und Akkusativ und alles richtig zu machen. Ich fühle mich wie auf Glatteis und denke: Oh Gott, wenn ich aufgeregt bin, rutsche ich aus und alle merken, dass ich‘s nicht richtig kann. Und deine Art, damit total offensiv umzugehen und die Dinge einfach zu sagen, hat mir auch Mut gegeben, dass wir jetzt einfach was in den Raum werfen und es steht. So.

KT: Das ist sehr schön, weil ich diese Sprache auch nicht beherrsche, ich arbeite nur damit. Das ist so cool. Sie ist ein Franzose, ich bin die Ungarin, und jetzt sprechen wir auf Deutsch, und manchmal machen wir das so (gestikuliert, schnipst) und so und so und ja, ja, genau.

DS: Wie soll man jetzt eure ganzen Gesten und die ganze Körpersprache in diesem Interview mittransportieren?

DB: Ich finde, mit dem Papier, mit dem Stift ist der Moment immer total schön, wenn man merkt: Eh, ich kann nix falsch machen! Und mit der Sprache ist es natürlich auch so. Erst mal losarbeiten, und dann kann man immer wegschmeißen. Und dieses Gefühl: So, jetzt machen wir was, wir können nix falsch machen, wir machen einfach. Das finde ich schön, und das finde ich im Arbeitsprozess sehr schön.

KT: Ja. Und eine andere Sache ist ‒ also bei mir ist es so, ich weiß nicht, woher es kommt, oder vielleicht weiß ichs doch, dass ich immer alles wissenschaftlich beweisen musste. Oder wollte. Wenn ich etwas aussagte, dann musste es wissenschaftlich bewiesen werden, ansonsten existierte es nicht. Und es war so gut, dass wir jetzt so normal sprechen konnten, auch nicht nur über Intuitionen, sondern wirklich Erfahrungen, dass wir nicht gleich beweisen sollten, wissenschaftlich. Was im Hintergrund schon vorhanden ist, aber jetzt war erst mal das Storytelling da, diese kollektiven, geerbten Sachen, vielleicht mit dem Wasser, die mit dem Thema weitergegeben sein könnten ‒ Konjunktiv II Präterium whatever, mit Modalverb. Und auch deswegen war die Fremdsprache eine gute Idee, dass wir das auf Deutsch machen. Ich kann kein Französisch, du kannst kein Ungarisch, und Englisch wollten wir nicht.

DB: Es war wie ein Sichtreffen auf einem extraterritorialen Gebiet.

KT: Weil wir aus anderen Sprachen, anderen Muttersprachen kommen, war es wirklich ein Weg für uns beide, all die Definitionen einander zu erklären. Was verstehst du unter diesem deutschen Wort und was kommt von deiner Kultur, was kommt von meiner Kultur, haben wir Traditionen, haben wir Probleme mit den Traditionen, was machen die Deutschen? Weil wir jetzt beide hier sind. Das hat uns, denke ich, bei der Öffnung sehr geholfen, dass wir alles mindestens aus drei Perspektiven, Deutsch, Französisch, Ungarisch, beobachten mussten.

DS: Das wäre auch ein toller Ansatz für Dienstag, verschiedene Begriffe oder Konzepte, die für euch in der Arbeit wichtig sind, lexikalisch oder etymologisch darzustellen. Diese Zwischensprachlichkeit ist ja, wie ihr sagt, auch ein eigentlich zentraler Teil der Arbeit. Wenn die Zeit reicht.

DB: Ja, wenn die Zeit reicht.

KT: Bei den Gesprächen wird es schon deutlich, glaube ich.

DS: Noch mal zu den Gesprächen: Das heißt, es gibt nicht nur diese vorbereiteten Sachen im Raum, sondern das Performative besteht auch im unmittelbaren Gespräch, ihr sprecht das Publikum, einzelne Besucherinnen und Besucher an und wollt mit ihnen über die Themen reden?

KT: Bei der Performance werden wir miteinander kommunizieren und mit Kleidabgabe, mit Begegnungen möchten wir die Leute auch involvieren. Danach sind wir offen für Gespräche, und es wäre schon sehr gut, wenn wir darüber quatschen könnten mit den Leuten, die kommen. Aber zuerst müssen sie auch tauchen. Wenn sie nicht unten sind mit uns, geht es nicht. Deswegen ist es sehr wichtig, dass wir sie involvieren.

DS: Das heißt, man kommt rein und man muss ertrinken?

KT: Genau. Genau. (Lacht.)

DS: Dann vielleicht bis hierhin. Und den Rest müssen alle selbst erleben, wenn sie am Dienstag kommen.

KT: Erleben, das ist ein schönes Wort. Oder überleben. Ja, coole Präfixe. (Alle lachen.) Und den Spaß dabei nicht vernachlässigen.