Übersetzung aus dem Englischen: Lena Hintze
Während der Erarbeitungsphase der Performance “Concrete Skin” im Rahmen der CON_TEXT-Reihe am 12. Mai 2017 in der Lettrétage interviewte Erica Zíngano die Künstler Momo Sanno und Maria A. Ioannou.
Érica Zingano: Als ich versuchte, ein paar Fragen für dieses Interview aufzuschreiben, habe ich darüber nachgedacht, welche Art von Fragen ich stellen sollte und dabei habe ich speziell an dich gedacht, Maria, weil du nicht in Berlin lebst. Für dich müsste diese eine Woche hier also eine völlig neue Erfahrung sein, eine Art von Versetzung, oder? Du hingegen, Momo, lebst schon eine Weile hier, und bist sicher schon eher an das Leben in Berlin gewöhnt, aber du lebst auch in Rumänien…
Momo Sanno: Ich lebe überall auf der Welt! Eigentlich gibt es keinen konkreten Ort, an dem ich lebe… Ich zahle meine Steuern in Berlin und auch in Bukarest, aber ich ziehe mehr oder weniger umher. Ich pendele ständig zwischen Berlin und Bukarest, weil ich vor zwei, drei Jahren nach Bukarest zurückgezogen bin und mir dort auch eine Basis schaffen will. Dass mich Berlin für sich eingenommen hat, ist schon eine sehr lange Zeit her…
ÉZ: Und du, Maria, genießt du die Woche in Berlin? Wie geht es dir mit der Entwicklung dieses neuen Projekts hier?
Maria A. Ioannou: Für mich sind es gerade ziemlich gegensätzliche Erfahrungen, weil ich einerseits immer erst aktiv herausarbeiten muss, wo ich überhaupt bin, mich orientieren muss, bevor ich mich dahingehend öffnen kann, kreativ zu werden und mit jemandem zusammenzuarbeiten. Andererseits hatte ich auch ein Bedürfnis nach Ruhe, weil ich so viel zu tun hatte, bevor ich nach Berlin gekommen bin, verschiedene Projekte und kreative Arbeiten usw. Die Zeit hier war deshalb wie ein Umschwung, aber das hat es für mich auch so interessant gemacht. Ich werde diesen Ort verlassen und trotzdem danach noch an ihn denken und darüber nachdenken, was hier in der Zwischenzeit passiert ist, denn einige Reisen enthüllen ihre Bedeutung erst, nachdem wir aufgehört haben, zu reisen.
ÉZ: Da stimme ich dir zu, Maria, Dinge entwickeln sich auch nach einer gewissen Zeit immer noch… Wie schon erwähnt, habe ich also ein paar Fragen aufgeschrieben, vielleicht fange ich mit denen jetzt an. Es ist ein bisschen lustig – lustig in einem schönen Sinn, weil ihr beide den Buchstaben ‘M’ in euren Namen habt, Momo und Maria, und M ist ein geradezu magischer Buchstabe… Letztes Jahr habe ich an einem Workshop mit einem amerikanischen Dichter, CA Conrad, teilgenommen und er hat uns genau das gesagt. Er hat ein Buch mit dem Titel “Circle M” oder so ähnlich veröffentlicht und deswegen hat er uns etwas über die magische Bedeutung dieses Buchstabens erzählt. Also ist es ein sehr schöner Zufall, mit zwei Personen ein Gespräch zu beginnen, die dieses starke ‘M’ als ihren Anfangsbuchstaben haben! Das ist auch der Grund, warum ich mit euch gern über den Anfang dieses Projekts sprechen möchte, als ihr euch das erste Mal getroffen habt. Wir wissen, wie der Auswahlprozess bei diesem Projekt, CON_TEXT, funktioniert, mit Speeddatings usw., und das war im November 2016. Jetzt ist es bereits Mai 2017 und die Zeit läuft immer weiter. Aber könnt ihr euch noch daran erinnern, was es war, das bei euch den Wunsch hervorgerufen hat, zusammenzuarbeiten? Welche Dinge waren bemerkenswert an diesem allerersten Treffen im letzten November?
MS: Ich erinnere mich, dass wir einfach anfingen zu reden und ich mochte diese Schwingung von Anfang an. Ich hatte das Gefühl, dass Maria mir sofort vertraute, durch den Computerbildschirm hindurch. Ich habe eine sehr positive Energie gespürt, eine fröhliche Stimmung, und auch den ziemlich ähnlichen Wunsch, mehr zu entdecken und ich denke, das ist eines der wichtigsten Dinge – eine sehr wichtige Sache auch für andere Menschen, nicht nur für Künstler… Die Fähigkeit, nicht einfach in seiner eigenen kleinen Welt stecken zu bleiben, sondern verschiedene Meinungen zu entdecken, die Meinungen anderer Leute… – Gerade in dieser Art von Zusammenarbeit, wo zwei unterschiedliche Kunstformen aufeinandertreffen, in unserem Fall: Literatur und Tanz. Ich fand es also sehr schön. Und da gab es auch dieses Thema, das sie in die Unterhaltung einbrachte, die Seele von Objekten. Wir haben vom ersten Moment an über dieses Thema gesprochen und ich fand es sehr interessant, weil ich vorher nie darüber aus dieser Perspektive nachgedacht hatte.
MAI: Die Seele von Objekten, aber auch die Objekte als eine Art und Weise, Menschen zu verstehen und die Vergegenständlichung von Menschen, ihre Beziehung zu Objekten und der Körper als ein vergegenständlichter Körper…
ÉZ: Beide wart ihr, wenn ich mich recht erinnere, nicht in Berlin an diesem Tag.
MAI: Nein, das stimmt.
MS: Ich war in Bukarest.
MAI: Und ich war auf Zypern, also trafen wir uns über Skype, was sich für mich auch ein wenig seltsam anfühlte, weil ich Momo persönlich noch nicht kannte. Ich habe darüber nachgedacht, wie es sich anfühlen würde, sich zu verstehen, denn da muss ja die Chemie stimmen… Und dann habe ich mir Biographien von allen Beteiligten durchgelesen und mir gedacht, Momo eröffnet mir die Möglichkeit, noch einmal mit Tanz zu arbeiten, denn ich habe in der Vergangenheit bereits mit Tänzern gearbeitet. Und dann haben wir nochmal geskypt, eigentlich haben wir immer geskypt und ich erinnere mich, dass er eine sehr besondere Art hatte, den Computer zu halten…
MS: Ah!
MAI: Ja, es war so, als würde sich alles bewegen… als könnte ich die Schwingungen spüren, das Leben, die Freude, die positive Energie, und er hat mit so einer Leidenschaft über Dinge gesprochen. Deshalb hatte ich den Eindruck, dass wenn wir zusammenarbeiten würde, es gut laufen würde, weil er diese Art von Verständnis hat und weil er nicht gerade jemand ist, der sehr geradlinig denkt, also im Sinne von: ‚Ich will dies machen und ich will das machen und es ist mir egal, was du sagst…‘ Nein, er ist sehr aufmerksam und einfühlsam dem anderen gegenüber und seine Energie ist sehr positiv, das ist bei mir manchmal nicht so… Ich glaube also, er hatte die Geduld, sich wirklich mit mir auseinanderzusetzen und andere Dinge aufzufangen; Dinge, die mich nervös machen würden.
MS: Gerade, wenn wir etwas erschaffen, haben wir manchmal sehr scharfsinnige Ideen, weil man pausenlos nachdenkt und es keine Minute gibt, in der man aufhört, nachzudenken und etwas zu erschaffen. Und manchmal, wenn man dann allein ist, fängt man an, Dinge klar zu sehen und denkt: ‚Ah, ja, das ist es!‘, und dann am nächsten Morgen, wenn du andere Menschen triffst, wie in diesem Projekt, ist es eher so: ‚Vielleicht ist es doch nicht mehr so klar, vielleicht ist es einfach nicht gut.‘ Deshalb habe ich die ganze Zeit, seit der ersten Begegnung, versucht, mich in eine flexiblere Position zu versetzen, um fähig zu sein, auf unsere Wünsche zu hören, aber auch auf unsere Imagination.
ÉZ: Oh, das Wort ‚Imagination‘ hört sich in diesem Zusammenhang gut an, denn das passt zu der zweiten Frage, die ich mir aufgeschrieben habe. Es geht um unterschiedliche Methoden/aber das gleiche Instrument, wenn man den Körper als ein Instrument für etwas verstehen möchte… Diese Mischung aus unterschiedlichen Bereichen, die in ein gemeinsames Projekt mündet… Das ist der Grundgedanke dieses Projekts, CON_TEXT, das versucht, verschiedene Metiers oder Hintergründe zu verbinden, sie irgendwie zusammen leben zu lassen. Denn du, Momo, arbeitest mit Tanz, und du, Maria, mit Schrift, und wenn man nach einem gemeinsamen Element sucht, könnte man sagen, dass beide Praktiken den Körper einbeziehen (und in der Erweiterung die Imagination), aber in unterschiedlichen Weisen, in unterschiedlichen Dynamiken. Deshalb würde ich gern mit euch über eure individuellen Methoden sprechen: Wie habt ihr es geschafft, diese individuellen Zugänge in einen gemeinschaftlichen Prozess umzuwandeln?
MS: Es gibt zwar diese unterschiedlichen Bereiche, aber sie arbeiten beide sehr eng mit der Imagination und beide kämpfen viel… Tanz kann auch etwas sehr Wörtliches und sehr Präzises sein, was dem Zuschauer keinen Raum für eine eigene Vorstellung lässt. Aber ich mag es, Tanz aus dieser starren Perspektive herauszunehmen. Was also herausfordernd war und ist an dieser Art von Begegnung, ist genau das: Nicht, etwas zu sagen, was total eindeutig ist, aber auch nicht, etwas zu sagen, das überhaupt nichts mit dem zu tun hat, was gerade gesagt wird, also einen Mittelweg zu finden, der dem Publikum ermöglicht, sich auch selbst etwas vorzustellen. Aber nicht zu systematisch sein, nicht in offensichtlicher Weise mit Wörtern und Bewegungen spielen, denn wenn es dazu käme, würde sich beides gegeneinander aushebeln. Es war die größte, die schönste Herausforderung, diesen dritten Raum zu schaffen, wo die Wörter der Figuren aus Marias Dichtung auf körperliche Bewegungen treffen, körperliche Bewegungen im echten Leben.
MAI: Das ist sehr interessant, denn unser Stück entspann sich aus einer Kurzgeschichte, die an verschiedenen Orten (in einem Büro oder in einem Café) und auf verschiedene Arten (auf einem Blatt Papier und am Computer) geschrieben wurde, und plötzlich wurde dieser Text, den wir in den sieben Tagen unserer Zusammenarbeit auseinandernahmen, um ihn am heutigen Abend aufführen zu können, in diesem Projekt, zu etwas ganz anderem… Denn, was ich fühle, ist ungefähr das: Durch diesen Dekonstruktionsprozess möchte ich gern zu meiner Kurzgeschichte zurückkehren und sie in einer anderen Art und Weise sehen, sie verändern, oder auch nicht. Aber dieser ganze Prozess hat mir die Möglichkeit gegeben, diese spezielle Kurzgeschichte noch einmal ganz anders zu sehen und mein Schreiben noch weiter zu entwickeln. Denn diese körperliche Bewegung hat mir auch die Idee des Fließens aufgezeigt, wie beim Fließen von Wörtern, und ich bin interessiert daran, welchen Beitrag das für meine Literatur leisten kann.
ÉZ: Also arbeitest du mit Marias Text wie mit einer Art von Partitur?
MAI: Wir haben mit meinem Text als Basis angefangen, auch weil ich eine Person bin, die gewöhnlich gestresst ist, wenn die Zeit fehlt, denn für jedes Projekt, was ich mache, verbringe ich Monate mit Vorbereitung. Wir haben uns entschieden, dass es besser wäre, mit einem Text anzufangen, der auseinandergenommen werden kann, anstatt erst noch einen Text und dann noch eine Performance und die Zusammenarbeit entwerfen zu müssen. Letztendlich hat uns das mehr Freiheit gegeben, zu interagieren und mit einer Kombination aus Bewegungen und Wörtern zu experimentieren. Es wäre ein ganz anderer Prozess gewesen, natürlich nicht weniger interessant. Aber wir hatten nicht so viel Zeit, das alles vorzubereiten.
ÉZ: Hast du den Text vorher gelesen?
MS: Ja, ich habe ihn ein oder zwei Tage vor dem Beginn der Zusammenarbeit mit Maria gelesen, nur um einen Eindruck zu bekommen, und ich mochte ihn. Er hat meine Imagination eingenommen, denn es passieren unterschiedliche Sachen in ihrem Text, auf vielen verschiedenen Ebenen, sehr viele Figuren usw. Und dann habe ich mir diese Frage gestellt: Wie kann ich die Figur sein, die Hauptfigur, ohne die Hauptfigur zu sein? Das war für mich die Herausforderung… Eine Figur zu erschaffen, die dieselben Eigenschaften oder die gleiche Identität hat, aber ohne eine parallele Identität zu sein, ohne dieselbe Identität zu haben, die der Text bereits anbietet… Für mich hieß das dann: ‚Wie fange ich an? Wie bewege ich mich? Bewege ich mich gegen den Rhythmus der Wörter?‘ Jeder Text hat einen Rhythmus und ich wollte den Raum finden, der darunterliegt, diesen anderen Raum, der den Text einhüllt und vervollständigt. Als ich also den Text gesehen habe, wusste ich sofort, von wo aus ich beginnen wollte, die Figur aufzubauen, weil die Figur genauso ist, aber dann hat sie diesen anderen Raum, den inneren Raum, den wir nicht immer sehen können und ich glaube, es kostet uns auch im realen Leben einige Zeit, uns mit dem inneren Raum einer jeden Person zu verbinden.
ÉZ: Momo, ist es denn für dich das erste Mal, dass du mit jemandem aus der Literatur zusammengearbeitet hast? Denn Maria, du hast erwähnt, dass du schon vorher mit Tänzern kollaboriertest.
MS: Hier, in dieser speziellen Situation, ist es das erste Mal, ja. Ich habe im Theater gearbeitet, aber ich möchte diese Art von Arbeit mit Texten nicht machen, also dass man Texte in Performances integriert… So haben wir es hier eben nicht gemacht und das war die Herausforderung.
MAI: Ja, die Aufgabe mit Momo war der Versuch, aus dieser strikt konzeptuellen Art, die Dinge zu sehen, auszubrechen. Ich bin so sehr daran gewöhnt, Texte zu fragmentieren, dass der Text sich verlieren kann oder nicht mehr in der Lage ist, so zu kommunizieren, wie wir es gerne hätten. Dank Momo habe ich wieder über das Wesen von einigen Sachen nachgedacht, wie z.B.: Ein Text sollte Menschen in irgendeiner Weise etwas fühlen lassen, er sollte in der Lage sein, mit Menschen zu kommunizieren. Denn in diesem Dekonstruktionsprozess nehmen wir die Texte gewöhnlich auseinander, nehmen so viele Dinge von den Texten weg, dass an einem bestimmten Punkt nichts mehr vom ursprünglichen Text übrig ist. Und diese Zusammenarbeit mit Momo hat mich daran erinnert, dass ich beim Schreiben darauf achten muss, dass ich etwas kommuniziere, versuche zu kommunizieren; es ist nicht nur ein dramaturgischer Vorgang oder eine interessante Idee oder eine Methodik oder eine Illusion oder so etwas. Der Text sollte in der Lage sein, andere Menschen etwas fühlen zu lassen.
ÉZ: Also für dich, Maria, war dieser Dekonstruktionsprozess eine Art von Trennungsaufgabe? Denn um deinen Text so umzuwandeln, dass er in dieser Zusammenarbeit präsentiert werden kann, hast du ihn irgendwie verloren…
MAI: Das trifft auf diese Kollaboration zu und auch auf Kollaborationen im Generellen: Die Texte werden zu sehr dekonstruiert. Hier haben wir meinen Originaltext auseinandergenommen, aber wir haben auch einige Elemente zwischen den geschaffenen Bedeutungen und Gefühlen belassen… Wir haben eine Art von Mittelweg gefunden… Und das ist, was Momo ist und wie ich bin. Er hat mir geholfen, zu meinem Text zurückzukehren und einige Dinge aus einer anderen Perspektive zu sehen, vielleicht hab ich ihm ja auch ein paar Dinge zurückgeben können…
MS: Oh, sie hat mir sehr viel zurückgegeben, sehr viel…
MAI: Ja, ich habe ihm ein paar andere Dinge gegeben…
MS: Auf jeden Fall! Und es war wichtig, unsere Eindrücke abzugleichen, unsere Gefühle zu berücksichtigen und die des Publikums auch. Ich habe die ganze Zeit gedacht: Wie können sie sich mit unserem Stück verknüpfen? Für mich war es wichtig, diesen Raum zu schaffen und alles zusammenzubringen… Neben dem Text und den Bewegungen also die Gestaltung des Raums, ihn ein bisschen zu verändern, seine Stimmung zu ändern. Jeder Ort hat eine Energie – Wie können wir etwas dazu tun und diese Energie verändern, um die Menschen darauf vorzubereiten, zu verstehen, was wir sagen? Das war eine große Herausforderung, diese Szenerie zu schaffen, und eine andere Herausforderung war wiederum eine ähnliche Frage: Was ist Literatur? Irgendwie wurden mir durch Bildung, durch die Schule, immer Beispiele gegeben, ‚das ist wie das‘, und ich finde oft Beispiele in meiner Vergangenheit, denen ich folgen kann: ‚Oh, das ist mein Vorbild, so muss ich auch werden, so muss ich auch sein… Lass uns ins diese Richtung gehen!‘ Was ich aber hier, durch diese Kollaboration, buchstäblich herausgefunden habe, ist, dass Literatur und alles, was geschrieben ist, diesen inneren Raum hat, wie ein Echo von anderen Dingen.
MAI: Die Schichten, denn ein Text hat viele Schichten.
MS: Das Wesen könnte also dieser Raum zwischen den Wörtern sein, der Rhythmus, der Rhythmus teilt etwas mit. Im ersten Moment kann er dich erschüttern. Das ist so, als ob du etwas ganz genau analysierst und dieser Prozess dich schon in einen Kasten steckt, in einen Kasten deines Wissens und anderer Dinge, aber wenn du es denken und atmen lässt, baut es sich selbst auf, die Wörter bauen sich auf und übrig bleibt dann genau das Wesen. Genau darum geht es.
ÉZ: Genau! Ich verstehe, wie du versuchst, deine Praxis als Tänzer mit der Literatur zu verbinden, du sprichst über Rhythmus usw., Gemeinsamkeiten, aber du sprichst auch über Vorbilder… Und dann hast du diese Idee des Wesens, vielleicht des Wesens eines Kunstwerks… Aber lass uns ein wenig mehr die andere Seite betrachten, zum Beispiel das Publikum. Ich bin auch Teil des Publikums und ich kenne eure vorherigen Arbeiten nicht. Ich habe mir kurz eure Biographien durchgelesen, hatte am Anfang ein bisschen Kontakt mit euch, und nun bin ich hierhergekommen, sehe diesen Raum, diesen Raum, den ihr vorbereitet habt, ich sehe die Szenerie… In meinem Kopf mache ich schon Verbindungen mit den visuellen Elementen, die ich hier sehe, und dem Titel des Stücks… Ich möchte es verstehen: Was ist nochmal der Titel? „Surface skin“?
MS und MAI: „Concrete skin”.
ÉZ: Ja, „Concrete skin“. Ich weiß ja, dass ich Teil des Publikums und damit ein aktiver Teil in diesem Prozess bin, im Prozess des Verstehens… Ich habe gerade schon Bedeutungsmöglichkeiten im Kopf, aber für euch, was bedeutet es für euch? Was soll das Publikum aus diesem Titel machen?
MS: Es ist so, wie sich selbst zu entdecken; es ist genau das, worüber wir die ganze Zeit gesprochen haben, zumindest für mich. Der Beton weist meist auf eine Rauheit hin, auf den undurchdringbaren Aspekt eines Dings, auf ein Ding, das man als sehr grob und sehr gegenständlich wahrnehmen kann und auf eine Struktur. Und die Haut, die wir kreiert haben, ist sehr weich, sehr organisch, sie lebt und ist Teil der wirklichen Welt, sie ist sehr empfindlich.
ÉZ: Entstand dieser Titel aus deinem Text oder habt ihr euch den zusammen ausgedacht?
MAI: Der Titel stammt aus dem Text, weil Philip, die Hauptfigur, krank ist. Er kann sich weder richtig bewegen noch kann er richtig fühlen oder andere Dinge machen und an einer Stelle wünscht er sich dann, in ein Objekt verwandelt zu werden, weil er sich wohler fühlt, wenn er sich wie ein Objekt verhält oder von Menschen wie ein Objekt benutzt wird usw. Es geht also um einen Menschen, der fordert, so zu sein, wie er sein möchte, auch wenn diese Forderung unwirklich oder unnormal klingt, aber in der Zukunft wünschen sich vielleicht auch andere Menschen, in ein Objekt verwandelt zu werden und jeden Tag aufs Neue objektiviert zu werden. Aber es geht in dem Text um mehr als nur Surrealismus. Es geht um jeden, der auf irgendeine andere Art existieren möchte, darum, wie andere Menschen das beurteilen und wie diese beiden Seiten sich gegenüberstehen, wie Philip sich fühlt und wie frei er sich im Inneren fühlt… Damit haben wir in dieser Zusammenarbeit experimentiert, denn Philip kann sich nicht bewegen, aber in seinem Inneren ist die Bewegung gewaltig. Und damit haben wir gespielt. Wir haben verschiedene Ideen für Titel gesammelt, dachten aber beide, dass „Concrete skin“ diesen Kontrast zwischen Innen und Außen am besten zeigt.
ÉZ: Für mich heißt „concrete“, dass etwas wirklich ist, ziemlich real und dann erscheint mir der Körper nicht mehr als etwas Weiches, sondern etwas, das wie eine Wand aussieht, ein Gebäude oder sowas … Beton! Aber dann habt ihr auch über Beweglichkeit gesprochen, und „Concrete skin“ ist für mich etwas ganz Festes – also ein Paradox. Und wo wir schon beim Paradox sind: Ich glaube, ihr habt beide schon die besten und schlechtesten Aspekte dieser Zusammenarbeit genannt, aber lasst uns das mal in andere Worte fassen: Was war das Schwerste und was war das Leichteste?
MS: Die schwierige Aufgabe war die Frage, wie ich mich bewegen kann, ohne zu tanzen, ohne Philip zu werden und doch Philip zu sein. Also habe ich versucht, eine Figur mit einem eigenen Leben zu schaffen, die es dem Publikum trotzdem erlaubt, diese gegensätzlichen Relationen zu fühlen. Immer, wenn ich etwas schaffe, schaffe ich es aus der Perspektive des Publikums heraus. Ich frage mich, was das Publikum fühlt, was es fühlen kann, und biete dann den Raum an, Philip aus der Erzählung heraus zu verstehen, denn diese ist sehr visuell, sehr stark und man bekommt sofort ein Bild davon, wer und was Philip in dieser Erzählung ist. Gleichzeitig will ich der Figur ein Leben geben, das nicht in der Erzählung drin ist, und das war und ist immer noch die Herausforderung… Wann immer ich also etwas erschaffe, versuche ich, die verschiedenen Schichten der Figur hervorzubringen und versuche, eine Grenze einzuziehen: ‚Das bin nicht Ich, das ist Philip‘, sage ich zu mir selbst, um mich von dieser Figur loszulösen. Aber das bin immer noch Ich – wie kann ich also das Wissen in meinem Körper nutzen, um einige Dinge über die Figur zu verstehen? Für mich war das genau der Moment, diesen anderen Raum zu erkunden… Der einfachste Teil unserer Zusammenarbeit war der Umgang mit Maria – ‚Okay, lass uns sprechen und sehen, wie wir dieses und jenes machen können‘… Um immer neue Fragen einbringen zu können, muss man natürlich auch bereit für die Risiken sein, die dieser Prozess mit sich bringt.
ÉZ: Ja, dieser Prozess…
MS: Der Prozess und seine Leichtigkeit. Gestern sind wir zum Beispiel in den Park gegangen und es war einfach richtig schön, nicht hier bleiben und drin arbeiten zu müssen.
MAI: Und dort haben wir die ganze Arbeit gemacht. Momo hat seine ganz neue Szene entworfen, das war sehr hilfreich. Die Sonne…
MS: Ja, der Prozess war eines der interessanten Dinge, denn die Leidenschaft, mit der Menschen ihre Sachen machen, sich präsentieren und arbeiten, ist sehr wichtig. Bei Maria gibt es keine richtige Trennung zwischen ihrer Literatur und ihrer Arbeit als Schriftstellerin, glaube ich. Es sind nur unterschiedliche Aspekte desselben Daseins und wenn man ein Werk ähnlich zu unserem hier entwickelt, kann man die Verbindungen sehen, das ist die Schönheit des Prozesses, denn der ist absolut real. Man fängt an, die Arbeit, das Vorgehen zu verstehen. Es ist nicht so, als ob Maria etwas sagen würde, das etwas völlig anderes bedeuten soll, als ob sie versucht, jemand anderes zu sein. Sie ist, wer sie ist, was sie sagt; die Arbeit, die sie macht, spiegelt ihre Art und Weise wider, sich zu bewegen. Es ist sehr aufschlussreich, wie sie spricht, wie sie schreibt… Es war sehr schön, das zu entdecken: ‚Okay, du bist keine Tänzerin, aber du schreibst, und davor sind wir alle noch Menschen.‘ Für mich war es schön, sehr schön, den Menschen hinter dem Text zu entdecken.
ÉZ: Oh, das ist toll! Das ist so ehrlich, so aufrichtig. Und du, Maria? Lass uns den Platz, den wir hier haben, auch dazu nutzen, deine Eindrücke zu erfahren.
MAI: Für mich war die erste Schwierigkeit, mich von Philip zu lösen, denn ich bin sehr verbunden mit ihm. Es gibt bei mir verschiedene Figurencharakteristiken, denen ich sehr zugetan bin, und wenn man anfängt, etwas zu lieben, das man erschaffen hat, eine Person oder ein Ding, dann fühlt es sich komisch an, wenn man das wieder auseinandernimmt, weil es so ist, als würde man der Person/dem Ding wirklich weh tun oder es töten, weil man ihm erst das Leben eingehaucht hat und es dann wieder zurückbekommt… Es hat mir sehr geholfen, den Fakt zu akzeptieren, dass Philip wirklich ein Mensch ist, der es verdient hat, in einer anderen Art und Weise präsentiert und in einer bestimmten Art und Weise dekonstruiert zu werden. Das war die Schwierigkeit, denn eigentlich hatte ich meine Erzählung, meinen Text, aber jetzt haben wir etwas ganz anderes. Es gab Momente, wo ich dachte: ‚Jetzt fängt Philip an, etwas anderes zu zeigen, und das war vielleicht nicht das, was ich mir von Philip vorgestellt habe, jetzt bewegt er sich in eine andere Richtung und das ist vielleicht nicht richtig.‘ Aber dann habe ich erkannt, dass das nicht der Sinn dieser Zusammenarbeit ist. Der Sinn dieser Zusammenarbeit ist der Versuch, etwas Neues zu schaffen und etwas weiterzuentwickeln. Das Gute an unserer Zusammenarbeit ist, wie ich schon erwähnte, unsere Kommunikation, in sehr direkter Weise, unsere Ideensammlung, unsere Gespräche. Auch wenn man tief in sich drin denken könnte: ‚Okay, da stimme ich voll zu, aber…‘ Es gibt nämlich immer unterschiedliche Wege, man selbst zu sein, aber wir hatten eine sehr fließende Art, uns gegenseitig zu verstehen. Es gab nicht einen einzigen Moment, bei dem ich dachte, dass Momo böse werden würde oder dass ich meine Geduld verlieren würde oder was auch immer… So etwas gab es bei uns gar nicht, wir haben uns perfekt verstanden…, auch wenn wir die Dinge im Leben unterschiedlich sehen. Denn Momo ist sehr optimistisch im Gegensatz zu mir, ich neige dazu, eher pessimistisch zu sein, ich sehe das halbleere Glas und ich glaube, Momo sieht Dinge nicht so…
(Beide sprechen zur gleichen Zeit, lachen zur gleichen Zeit.)
MAI: Was waren die Herausforderungen? Die Herausforderung für mich war auch der Ort, weil wir einen Raum genutzt haben, den wir vorher nicht kannten. Es war also nicht so, dass wir einen Raum ausgesucht haben, der zu Philips Bewegungen passt, zum dekonstruierten Philip. Es ist der Raum, der mit dem Projekt auf uns zu kam. Eigentlich mag ich ortsspezifische Projekte, die mit speziellen Räumen arbeiten, aber ich habe den Eindruck, dass daraus, wie wir die Szenerie gestaltet haben, sich auch neue Möglichkeiten ergaben. Als Momo am Anfang auf die Idee kam, dachte ich: ‚Warum verbringen wir einen ganzen Tag damit, eine Szenerie zu entwerfen?‘ Das war mein erster Gedanke. Aber dann sagte ich mir: ‚Ich will etwas mit Momo erschaffen, diese Interaktion zwischen Text und Bewegung herstellen, und auch wenn so viel Zeit vergeht, während wir uns mit der Szenerie beschäftigen, ist es vielleicht später mal hilfreich.‘ Und nur weil wir gemacht haben, was Momo wollte, haben wir schließlich eine völlig neue Dimension erschaffen. Wir haben etwas ganz anderes gemacht als das, was wir ursprünglich wollten. Und wenn du heute Abend kommst, wirst du sehen, wie all diese Dinge ineinandergreifen.
ÉZ: Ja, diese Szenerie ist total schön, weil es aussieht, als gäbe es verschiedene Räume in einem einzigen Raum. Es gibt drei verschiedene Dimensionen, drei verschiedene Räume, nur durch die Nutzung des Papiers an der Wand… Und in der Art, wie die Papiere geschnitten sind, sehen sie aus wie eine Partitur… Hier, zum Beispiel, gibt es einen langen Rhythmus, hier ist es mehr ein kurzer, präziser Rhythmus und dieser hier ist noch ganz leer, aber bereits im Begriff, etwas zu empfangen, aber wir wissen nicht, was. Außerdem hat mich dieses geschnittene Papier auch an Haut erinnert – das Papier als eine Oberfläche, so wie auch die Haut eine Oberfläche ist.
Ich glaube, ich habe nur noch eine letzte Frage, die das Projekt im Ganzen betrifft: Wenn ihr etwas an dessen Struktur verändern könntet – denn das Projekt basiert auf diesen blinden Partnerschaften und auf der Idee, zwei verschiedene Menschen mit zwei verschiedenen künstlerischen Hintergründen zu verbinden –, was würdet ihr ändern?
MS: Momentan habe ich noch gar nicht über Veränderungen nachgedacht, denn es ist eine Art von Arbeit, die sich dauernd bewegt. Bisher hat sich die Arbeit noch nicht zu einem Punkt bewegt, an dem wir etwas bedauern oder etwas vermissen… Ich sehe Maria jeden Tag und in jeder Probe, die wir machen, entdecke ich etwas Neues oder eine andere Art, etwas wahrzunehmen. Es ist schön, es ist sehr lebendig, es hat ein eigenes Leben. Und in der Zeit, die wir miteinander verbringen, wenn wir uns treffen, verändert sich etwas: Eigentlich wollten wir etwas auf eine Art machen, und dann, in der nächsten Probe, verändert sich das von selbst und ich entdecke eine neue Art und Weise. Ich mag das, weil ich so an etwas dranbleibe. Aber ja, der Raum war eine Herausforderung, denn ich mag es eigentlich, mit großen Räumen zu arbeiten – Tanz braucht Platz und Räume, die erkundet werden können, um den Körper aus dem Körper freizulassen und um dem Publikum zu ermöglichen, das zu sehen, denn sonst fühlt es sich so…
ÉZ: … begrenzt an?
MS: Ja, begrenzt. Ich mag richtig große Bühnen, das ist ein Teil von mir. Hier habe ich mich manchmal gefragt: ‚Wie würde ich das auf einer großen Bühne machen?‘ Ich glaube, das könnte unglaublich werden, mit Beleuchtung, speziellem Licht, einem größeren Aufbau, mit dem man spielen könnte. Wie gesagt, wir haben so viele Figuren, wie kann man diese Figuren….
MAI: Ja, der Text hat viele Stimmen, viele Erzähler…
MS: Damit zu spielen, wäre definitiv kein Projekt, das hier stattfinden könnte, zumindest nicht jetzt… Was wir hier präsentieren werden, ist das, von dem wir glauben, dass es in diesem Raum möglich ist, der uns anfänglich in diesem Projekt angeboten wurde… Aber wie weit können wir gehen? Ich weiß es nicht, denn für mich ist es ein sehr schöner Text und die Kombination aus beidem, Text und Bewegung, ist total schön.
MAI: Natürlich ist es eine Herausforderung, weil es eine Arbeit ist, die immer weiter fortschreitet, die zwar heute Abend präsentiert werden wird, aber kein abgeschlossenes und vollständiges Werk ist. Es ist auch eine andere Art zu arbeiten, weil wir für gewöhnlich etwas bis zu einem bestimmten Punkt entwickeln, und dann, nach zwei oder drei Monaten, wenn wir das Video noch einmal sehen, denken wir uns: ‚Das und das würde ich jetzt ganz anders machen‘, aber es ist nun mal ein work-in-progress. Eigentlich glaube ich, dass wir die Arbeit jetzt an einem Moment aufführen, der als Höhepunkt gelten kann, aber wir wissen ja auch nicht, wie weit es noch gehen könnte… Oder wie viel besser oder schlechter es werden könnte, wenn wir einen, zwei oder drei Tage mehr Zeit hätten, einen Monat mehr Zeit usw. Auf der einen Seite ist das also eine Herausforderung, aber auf der anderen Seite ist das auch ein Segen, weil wir es nur bis zu einem bestimmten Punkt ansteigen lassen können und es dann aufführen, wie es ist…
ÉZ: Klar, die Zeit, auch das Bewusstsein von Zeit, denn die Struktur, so wie sie von der Konzeption des Projektes angelegt wurde, funktioniert genauso: Man hat nur eine Woche Zeit. Und am Ende ist es ein Auftragswerk, aber irgendwie wusstet ihr auch, damit umzugehen, denn ihr habt einen Text mitgebracht, einen Text, den es vorher schon gab, aus Sicherheitsgründen. Ihr habt Zeit gespart.
MAI: Ja, eine Sicherheitsvorkehrung, aber zur gleichen Zeit ist es, denke ich, genau das Gegenteil. Ich habe den Eindruck, dass ich mich vielleicht sicherer gefühlt hätte, wenn ich etwas völlig Neues geschaffen hätte, weil die Dekonstruktion von Philip noch viel schwerer für mich war… Auch wenn der Text also als Ausgangspunkt funktioniert hat, ist es doch durch den Umstand, dass wir ihn so auseinandergenommen haben, am Ende ein völlig neuer Text geworden.
Érica: Ich stimme dir zu, Maria, denn wenn wir etwas dekonstruieren, kreieren wir letztlich etwas Anderes, etwas Neues…
MAI: Ich schreibe Kurzgeschichten, also weiß ich nicht, wie es wäre, ein Gedicht oder eine andere Form zu benutzen… Ich mag Kurzgeschichten, das ist absolut mein Ding. Eine Kurzgeschichte hier zu schreiben, eine gute, eine neue, und imstande zu sein, damit zu spielen, wäre sehr schwierig geworden, weil ich sehr langsam schreibe. Und die Herausforderung wäre natürlich gewesen, eine neue Form auszuprobieren, mit Lyrik zu arbeiten oder vielleicht etwas anderem.
ÉZ: Ich verstehe die Schwierigkeiten, die du erwähnst, sehr gut… Gibt es darüber hinaus irgendetwas anderes, das ihr über das Stück sagen möchtet, über die Haut, über die „Betonhaut“, euren Umgang miteinander… oder auch über Berlin?
MS: Ich mag Berlin sehr! Wirklich!
MAI: Berlin? Ich mag Berlin auch, vor allem, wenn es sonnig ist. Und ich mag Berlin, wenn ich es mit Menschen teilen kann, denn es ist ein schöner Ort, um mit Menschen zusammen zu sein, aber auch ein schöner Ort, um allein zu sein… Aber wenn ich das nächste Mal herkomme, werde ich dafür sorgen, dass ich meine Tochter mitbringen und mit ihr in diesen Park gehen kann, in den wir gegangen sind, um zu arbeiten. Wann immer ich einen Ort richtig mag, richte ich auch mein Leben daran aus. Wenn ich also das nächste Mal komme, bringe ich meine Tochter mit.
MS: Ich glaube, Berlin ist anders als der Rest von Deutschland. Genauso wie New York nicht Amerika ist… Es hat sein eigenes Leben. Und das ist auch mit meinem Leben verbunden, meiner Art zu leben, denn bevor ich nach Berlin gekommen bin, habe ich auch mit dem Gedanken gespielt, nach Stuttgart zu ziehen. Ich habe dort ein Projekt gemacht und zehn Jahre zuvor auch gelebt… Ich bin dort zum Gymnasium gegangen, auf die Hochschule. Aber man kann dort auch total hängenbleiben, es hat eine sehr nüchterne Atmosphäre… Es ist natürlich sehr schön dort, mit den Hügeln und den Bäumen, aber in Sachen Atmosphäre ist es dort sehr nüchtern. Immer, wenn ich nach Berlin komme, entdecke ich neue Gesichter, neue Gebiete, die noch bunter sind, verschiedene Menschen und Sprachen, und die Stadt ist so offen, dass Menschen ihre eigene Schwere hinter sich lassen können; und das alles nur aufgrund der Weite des Raums.
MAI: Platz hat Berlin auf jeden Fall! Ich hatte nicht erwartet, so viel Platz hier vorzufinden, und auch diese Offenheit hatte ich nicht erwartet – im Vergleich mit anderen europäischen Städten, in denen ich schon gewesen bin. Das hat mich darüber nachdenken lassen, hierher zu ziehen, denn hier würde ich mich nicht so fühlen, als würde ich ersticken, wie in anderen Städten, und es gibt diese Offenheit. Und die Menschen hier sehen freundlich aus, glaube ich, und auch entspannt. Es gibt nicht diese Art von Kälte… Berlin hat auch diesen spezifischen Geruch, den ich unmittelbar mit der Stadt verbinde, denn in jeder Stadt, in die ich reise, versuche ich den Geruch des Ortes zu empfinden… Woran ich mich aber erinnern werde, ist dieses Zeug, das weiße Zeug und der Wind, der es wie Schnee herumfliegen lässt… Es war gestern, im Viktoriapark, wir saßen da und diese kleinen weißen Dinger wirbelten in der Luft herum, wie Schnee, aber es war kein Schnee. Das war eine völlig neue Erfahrung für mich. Ich habe so etwas noch nie gesehen, so viele, auf dem Boden… Wenn ich Berlin beschreiben könnte, wäre es genau das!