Zur Installation “Krieg im Park” mit Fotos und Texten von Yevgenia Belorusets und Charlotte Warsen
Von Sieglinde Geisel
Wir betreten an diesem Abend nicht einfach einen Raum in der Lettrétage am Mehringdamm. Wir legen stattdessen in wenigen Minuten eine Distanz von über 1300 Kilometer zurück: Berlin-Kiew. Die Dichterin Charlotte Warsen begleitet uns bei dieser geistigen Reise per Kopfhörer. Ihre Stimme holt uns ab, sie macht uns bewusst, dass wir die Räume wechseln. “Wenn Sie jetzt nicht hier wären, würde Ihnen anderswo etwas Aufregenderes passieren?” Die Stimme weiß, dass wir jetzt wohl lieber auf der Straße in der Abendluft wären und dass wir angesichts der aufgestapelten Stühle befürchten, den ganzen Abend stehen zu müssen. Auf der Einladung hatte es geheißen “20 bis 23 Uhr”, erst jetzt verstehe ich, dass damit keine Dauer gemeint ist, sondern ein Zeit-Raum, in dem man sich so lange aufhalten kann, wie man will.
Ich folge den Anweisungen der Stimme. Sie führt mich in den hinteren Raum, und in den Kiewer Park, in dem die ukrainisch-deutsche Künstlerin Yevgenia Belorusets fotografiert hat. Der Kopfhörertext dauert 13:25 Minuten. Wie lange ich im hinteren Raum verweile, ist mir selbst überlassen. An zwei gegenüberliegenden Wänden hängen die Fotografien, an der Stirnwand dazwischen ein Gedicht, dessen Zeilen in Gruppen auf dem weißen Papier verteilt sind.
Yevgenia Belorusets hat in ihrer Heimatstadt den Krieg fotografiert, und zwar im Park, wo eigentlich kein Krieg herrscht, im Gegenteil: Hier erholen sich die Soldaten vom Kriegseinsatz in der Ost-Ukraine. Die Bilder sind Schwarz-Weiß, betont unprätentiös und intim, etwas grobkörnig. Was hätte ich in diesen Bildern gesehen, wenn ich sie mir ohne Hintergrundwissen angeschaut hätte? Auf den ersten Blick hätte ich gedacht: Das ist nicht im Westen, und wahrscheinlich von früher. Ob ich wohl den Krieg entdeckt hätte? Auf den zweiten Blick wohl schon. Die Uniformen der Männer wären mir aufgefallen und auch die Anspannung der Paare. Was bedeutet der Krieg für sie,? Die Männer scheinen mir aufgekratzt, die Frauen auch, doch anders, aus anderen Gründen.
Manches kann ich nicht dechiffrieren. Zwei Männer in Uniform sitzen fröhlich auf einer Bank, einer zieht sein T-Shirt hoch und zeigt ein perfekt gestochenes Che Guevara-Tattoo auf der unteren Flanke; er ist stolz, aber nur ein bisschen. Ein Betrunkener steht neben einem Baum, er kann das Gleichgewicht nicht recht halten und wirkt fröhlich, vielleicht nur wegen dem Alkohol aus der Flasche, die er nachlässig in der Hand halt.
Draußen auf dem Mehringdamm ist es dunkel, durch die Kassettenfenster der Lettrétage ist nichts zu sehen, alles schwarz. Die Kopfhörerstimme sagt mir, ich solle hinaussschauen, in den Park, gleich hier vor dem schwarzen Fenster. Bestimmt hätten wir die vier herumlungernden Gestalten auf der Fotografie vorhin schon gesehen, da draußen, die vier Soldaten, die Yevgenia Belorusets aus der Distanz fotografiert hat: Drei sitzen auf der Wiese, ein Gebäude im Rücken, ein vierter steht vor ihnen, in strammer Pose, als käme es drauf an, worauf auch immer es ankommt, hier im Park. In der Haltung dieses Soldaten erkenne ich den Krieg am deutlichsten, diese Haltung passt nicht zum Park, sie bringt den Krieg in den Park.
Wenn ich die Fotografien betrachte, erreichen mich Nachrichten aus einem fernen Krieg. Der Krieg bricht ein in den Park-Alltag. Rentner sitzen an Steintischen, sie reden, verbringen Zeit. Es ist möglich, dass die Soldaten, die auf der Wiese sitzen oder auf der Parkbank in den Tagen zuvor jemanden getötet haben. Ansehen tut man ihnen nichts.
Das Gedicht an der Stirnwand kann man nicht im herkömmlichen lesen. Das Auge wandert umher, und ich erkenne eine Zweiteilung: Die Worte auf der linken Seite gehören zusammen, ebenso die auf der rechten Seite. Manches ist von früher: “ist dies mein Herz nun also beschaffen”, anderes modern: “eine kleine Schar / erbt eine Luftblase / welche am Paradies anliegt und / sich nach Belieben / füllen kann von innen her / bläulich leise wummernd.”
Die weiße Fläche des Texts lädt ein zum Umherwandern, zwischen den Wort-Inseln. “Legen Sie Ihre Augen behutsam ab”, empfiehlt die Stimme aus dem Kopfhörer. Das Gedicht ist wie ein Park: die weiße Fläche der Boden, die Wörter und Sätze die Dinge, auf die man im Park stößt. Manche Sätze wirken wie eine alte Statue, man kommt an einem Blumenbeet vorbei, einem Teich, und manchmal es ist es mir, als stolperte ich über Worte, die im Weg liegen. Der Krieg steckt, rätselhaft, in einzelnen Wortfetzen – “flanierten hier Wunden und wie-Wörter”, “in Blitzen wie Hagen von Tronje entnervt etwas beiläufig blutrünstig / ruckartig sich zurückzuziehen weiß”. Doch ich kann mich auch getäuscht haben.